Georges Rassel, CEO Paul Wurth, über die Erfolgsgeschichte von Paul Wurth und wie das Unternehmen daran arbeitet, die Stahlindustrie grüner zu machen.
Herr Rassel, Paul Wurth feiert in diesem Jahr das 150-jährige Bestehen. Was ist das Erfolgsrezept?
Für das Erfolgsrezept von Paul Wurth fallen mir sofort drei Begriffe ein: Innovationsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und unsere Mitarbeiter. Durch Innovationen haben wir uns über all die Jahre in eine Position gebracht, um den Markt weiterzuentwickeln und für unsere Kunden als kompetenter Partner zu gelten. Wir können uns anpassen. Sowohl auf die Bedürfnisse des Marktes, aber auch auf die Regionen, in denen unsere Kunden zu Hause sind. Letztendlich sind es aber die Mitarbeiter, die für den Erfolg von Paul Wurth verantwortlich sind. Sie sind es, die weltweit den regelmäßigen Austausch mit den Kunden pflegen und Innovationen forcieren, die sie selbstverständlich auch kritisch hinterfragen dürfen. Eine gute Mitarbeiterführung und der Umgang untereinander runden die menschliche Komponente ab – die Basis unseres Erfolges. Als ein Unternehmen, das seinen Ursprung in Luxemburg hat, kommt uns ein weiterer Faktor zugute: Hier in Luxemburg leben die Einwohner und somit auch der größte Anteil unserer Mitarbeiter in der Regel mehrsprachig und multikulturell. Da ist der weltweite sprachliche Austausch mit unseren Kunden vielleicht nochmals einfacher.
Wenn Sie auf die Firmenhistorie zurückblicken, dann gab es sicherlich Entscheidungen beziehungsweise Strategien, die das Unternehmen geprägt haben?
Vor 150 Jahren begann das Unternehmen als Kesselfabrik. Da war Paul Wurth ein klassisches Fertigungsunternehmen, das auf Basis von Zeichnungen, die unsere Kunden mitgebracht haben, die gewünschten Produkte erstellte. So ging das einige Jahrzehnte. Wir waren ein Unterlieferant für alle möglichen Unternehmen im Bereich der Stahlherstellung und des Stahlbaus. Ein einschneidendes Ereignis fand Anfang der 1950er-Jahre statt. Da erwarb Paul Wurth eine Lizenz zum Bau ganzer Hochöfen, inklusive dem Engineering. Der Startschuss war gefallen, um eine Engineering-Abteilung auszubauen. Das war somit der Übergang vom Fertigungsunternehmen hin zum Engineeringunternehmen. Ingenieure fassten in unserem Unternehmen Fuß und entwickelten auch Innovationen.
1970 brachten wir ein neuartiges, revolutionäres Produkt auf den Markt. Eine neue Technologie wurde entwickelt, um den Hochofen zu begichten. Dieses Verfahren erlaubte eine sehr schnelle Produktivitätssteigerung und zugleich eine für damalige Verhältnisse umweltfreundliche Produktion. Anlagenbetreiber aus der ganzen Welt sprachen uns an und wollten diese Technologie ebenfalls in ihren Anlagen einsetzen. Paul Wurth hatte in der Branche spätestens ab diesem Zeitpunkt einen Namen, der für Innovationen steht. Durch diesen glockenlosen Gichtverschluss sind wir weltweit aktiv geworden. Zuvor haben sich unsere Aktivitäten auf Luxemburg und den Rest von Europa beschränkt. Vor rund 50 Jahren haben wir also angefangen, unser weltweites Netzwerk aufzubauen.
2004 sind wir zu dem Entschluss gekommen, unsere eigene Werkstatt in Luxemburg zu schließen. Was vor 150 Jahren in Luxemburg angefangen hat, haben wir aufgegeben – die Fertigung. Es war ein schmerzvoller, aber auch wichtiger Prozess. Wir konnten uns mit weniger Fixkosten wettbewerbsfähiger aufstellen. Selbstverständlich verfügt Paul Wurth weiterhin über externe Fertigungspartner, die über den gesamten Globus verteilt sind.
2012 erfolgte der Einstieg der SMS group. Ein wesentlicher Schritt für Paul Wurth. So haben wir mit Unterstützung der SMS group die Midrex®-Lizenz für den Bau von Direktreduktionsanlagen erhalten – die Zukunftstechnologie, um sich in den Prozess der CO2-freien Stahlproduktion einzubringen. Der Austausch mit der SMS group ist unser Fundament für die Zukunft. Jetzt sind Technologien gefragt, bei denen ein Zusammenwachsen beider Unternehmen eine logische Folge sein wird.
Paul Wurth begleitet die Anlagenbetreiber mit Serviceleistungen. Welchen Stellenwert nimmt der Service heutzutage ein?
Der Service steht bei uns schon seit einigen Jahren im Fokus. Nicht umsonst sind wir mit unseren Service-Werkstätten weltweit vertreten, so etwa in Brasilien, China, Indien, Russland und in den USA. Hier können wir das in Europa original hergestellte Produkt überarbeiten. Dennoch bieten wir neben dem Technischen Service in unseren Werkstätten auch teilweise Neufertigungen an. Wir werden das After-Sales-Geschäft weiter ausbauen. Denn wir möchten für den Kunden ein Lifecycle-Partner sein, auf den er sich verlassen kann. Dazu werden wir verstärkt die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen, damit wir uns zum Beispiel auf die Anlagen unserer Kunden zuschalten können, um schneller zu helfen.
Immer mehr Anlagenbetreiber fragen, ob wir unser Know-how auch in Fremdanlagen stecken können. Das können wir und somit bieten wir neben dem Service für unsere eigenen Anlagen auch Service für Fremdanlagen an. Wir wollen nicht nur Serviceleistungen verkaufen, sondern dem Kunden helfen, dass seine Anlage besser wird.
Digitalisierung und Umweltschutz sind heutzutage immer wieder Begriffe, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Wie geht Paul Wurth diese Themen an?
Schon vor einigen Jahren haben wir ein internes Team zusammengestellt, das sich mit den Themen rund um Digitalisierung befasst. Auf diesem Gebiet konnten wir weitreichende Fortschritte erzielen. Hinzu kommt der gute Austausch mit der SMS digital. Produkte, die bei Paul Wurth entwickelt wurden, sind jetzt auch auf der Digitalisierungsplattform der SMS group zu finden.
Als vor 50 Jahren der Gichtverschluss entwickelt wurde, war die Produktivitätssteigerung ein Thema für sich, und der Umweltschutz ein anderes. Dieses Verhältnis hat sich mit unseren innovativen Entwicklungen wie der Druckregelung bei den Hochöfen geändert. Wir setzen den Fokus auf die Kombination aus Produktionsoptimierung und gleichzeitiger Emissionsreduzierung. Produkte, die wir schon seit Jahren anbieten, will der Kunde aufgrund der verschärften Umweltschutzbedingungen spätestens jetzt haben. Es zahlt sich somit aus, dass wir uns schon seit vielen Jahren mit dem Thema Umweltschutz intensiv beschäftigt haben.
Besonders heute bleibt unser Blick nach vorne gerichtet. So haben wir uns im vergangenen Jahr dazu entschlossen, uns am Cleantech-Unternehmen Sunfire aus Dresden zu beteiligen. Mit dieser Kooperation setzen wir unsere Initiativen zur Entwicklung klimaneutraler Lösungen für die Stahlindustrie fort. So entwickelt und kommerzialisiert Sunfire eigene Elektrolyse-Verfahren zur Gewinnung von Wasserstoff und Herstellung von Synthese-Kraftstoffen.
Die Kooperation mit Sunfire hört sich vielversprechend an. Was kann der Markt erwarten?
Wir sind der Überzeugung, dass Wasserstoff ein wichtiges Instrument der Zukunft sein wird, um die Industrie zu dekarbonisieren. Sunfire hat eine Wasserstofftechnologie entwickelt, die auf Hochtemperatur-Elektrolyse beruht und im Prinzip überschüssige Wärme der Roheisenherstellung benutzt. Man startet bei dem Verfahren also bei Dampf statt bei kaltem Wasser, was 20 bis 30 Prozent weniger Energie bedarf, um Wasserstoff zu produzieren. Wasserstoff dient zukünftig als Reduktionsmittel gegenüber der bisher eingesetzten Kokskohle. Es kann aber auch als Basismaterial für synthetische Kraftstoffe dienen, so dass damit E-Fuels hergestellt werden, die eine große Zukunft vor sich haben. So etwa in der Luftfahrt, für Lastkraftwagen oder auch Schiffe, wo elektrische Antriebstechnologien kurzfristig und vielleicht längerfristig nicht verfügbar sind.
Mit einem ersten Pilotprojekt in Norwegen, an dem wir gemeinsam mit Sunfire beteiligt sind und bei dem Wasserstoff und CO2, das von einer Industriequelle abgeschieden wird, wieder mit neu geordneten Molekülen zusammengebracht werden, wird E-Kerosin hergestellt. Das wird mit Sicherheit ein interessanter Markt werden, wo uns die Kompetenz, die wir als weltweiter Anlagenbauer haben, zugutekommt. Ein weiteres Leuchtturmprojekt innerhalb der Kooperation mit Sunfire entwickeln wir momentan für die Stahlindustrie, damit schon bald die „grüne Tonne Stahl“ produziert werden kann. Bis zum Jahr 2025 wollen wir zeigen, dass es funktioniert.
Mit einem Blick in die Zukunft gerichtet: Auf welche Themen wird sich Paul Wurth in den nächsten Jahren fokussieren?
Die Industrie rund um Wasserstoff kann ein wichtiges zweites Standbein für Paul Wurth werden. Wenn es soweit kommt, sind wir froh, mit der SMS group einen starken Partner im Rücken zu haben, um die Technologien und neu zu schaffenden Infrastrukturen abwickeln zu können.
Parallel dazu wollen wir weiterhin die Bedürfnisse unserer Kunden zufriedenstellen. Bei bestehenden Hochöfen und Kokereien werden wir dem Kunden helfen, seine Produktionskosten und den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Gleichzeitig werden wir die Verfügbarkeit der Anlagen verbessern. Zusätzlich arbeiten wir eng mit Forschungsinstituten und Universitäten zusammen, um die Stahlindustrie grüner zu machen. Bei der Entwicklung hin zur grünen Stahlproduktion begegnen uns gelegentlich einzelne externe Personen, die Zweifel an der Umsetzbarkeit der Technologie haben. Ihnen kann ich nur mit einem Zitat des Autors Robert Lerch begegnen: „Wer nicht vom Fliegen träumt, dem wachsen keine Flügel.“ Und wir wollen fliegen!