Die grüne Transformation der Stahlindustrie ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Dass eine CO2-neutrale Stahlproduktion möglich ist, werden Leuchtturmprojekte wie H2 Green Steel und thyssenkrupp Steel bis Mitte des Jahrzehnts beweisen. Aufgrund der langen Investitionszyklen für Hüttenwerke gilt es jedoch, einen Großteil der zukünftigen CO2-Einsparungen durch den Umbau bestehender Anlagen zu erzielen. Eine Einheitslösung gibt es hier nicht. Aus diesem Grund bieten wir maßgeschneiderte Lösungen für jedes Kundenszenario, die lokale Gegebenheiten wie Eisenerzqualität, Energieinfrastruktur und vorhandene Ausrüstung sowie vor Ort geltende politische Richtlinien, Regeln und Vorschriften berücksichtigen.
Alle drei Wege zur Dekarbonisierung haben das Potenzial, durch die Einführung innovativer integrierter Prozesslösungen in neuen (Greenfield-) bzw. vorhandenen (Brownfield-)Anlagen Klimaneutralität zu erreichen. Dazu gehört auch die Schaffung zusätzlicher Infrastruktur für den Einsatz nachhaltiger Energieträger wie Wasserstoff, Biomasse oder grünem Strom. Die letzte Meile auf dem Weg zur Klimaneutralität können Technologien zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage, kurz CCS) überbrücken.
Brownfield-Projekte: Umrüstung von konventionellen Hochöfen auf „Blue Blast Furnace“-Technologie
Integrierte Hüttenwerke bestehend aus Hochofen und Sauerstoffblaskonverter sind aktuell die dominierende Konfiguration für die Eisen- und Stahlerzeugung. Trotz der hohen CO2-Emissionen, die sich aus dem Einsatz großer Mengen an Eisenerz mit oft geringem Eisengehalt sowie geringen Schrottbeimischungen ergeben, ist der Hochofenprozess nach wie vor ein wesentlicher Bestandteil der Eisen- und Stahlerzeugung. Eine schnelle Reduzierung der Treibhausgasemissionen kann nur durch die schrittweise Umstellung bestehender Anlagen und Infrastruktur erreicht werden. Vor diesem Hintergrund haben wir die „Blue Blast Furnace“-Technologie als Brückentechnologie auf dem Weg zu einer umweltfreundlicheren Zukunft der Stahlerzeugung entwickelt.
Das besondere Merkmal des blauen Hochofens und der erste wesentliche Schritt in Richtung EASyMelt ist die Erzeugung von Synthesegas und dessen Einleitung durch eine neuartige Heißwindringleitung am unteren Teil des Hochofenschachts, um eine Reduzierung der Emissionen von bis zu 28 % zu erreichen. Synthesegas besteht hauptsächlich aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff und ersetzt Koks als Reduktionsmittel zur Reduktion des Eisenmöllers im Schacht.
Die Erzeugung von Synthesegas kann mit einer Vielzahl von Technologien erfolgen. Bei einer dieser Technologien handelt es sich um einen neuartigen Reformierungsprozess, die sogenannte Trockenreformierung von Koksofengas in speziellen Öfen, mit der das Gichtgas aus dem Hochofen und das Koksofengas bei hohen Temperaturen reformiert werden. Da das Verfahren ausschließlich Abgase aus dem Hüttenwerk verwendet und kein Einsatz von Kohle mehr erforderlich ist, bietet es großes Potenzial für die Reduzierung von CO2. Neben den beschriebenen Reformern existieren weitere Technologien zur Herstellung von Synthesegas, z. B. die Reformierung von Erdgas oder Koksofengas und Teer.
Pilotanlage bei ROGESA
Paul Wurth hat bei der ROGESA Roheisengesellschaft Saar mbH in Dillingen, Deutschland, erfolgreich eine Pilotanlage in Betrieb genommen, um die Trockenreformierung von Koksofengas mit Hochofengas zu testen. Dies ist ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der Technologie für die Trockenreformierung und der Erzeugung von Synthesegas. Das Verfahren basiert auf der Herstellung von Synthesegas in einem katalysatorfreien Hochtemperatur-Reformierverfahren. Die Machbarkeit des Verfahrens wurde in den ersten Betriebsmonaten mit hervorragenden Umwandlungsraten von bis zu 98 % nachgewiesen. Das von Paul Wurth erzeugte Synthesegas verfügt über die optimale Zusammensetzung und Temperatur für den vielseitigen Einsatz als Reduktionsgas im Hochofenverfahren und weist gleichzeitig eine deutlich höhere Qualität auf als Synthesegase, die mit herkömmlichen katalytischen Reformierungsverfahren erzeugt werden. Dank der Qualität und hohen Temperatur des Reduktionsgases kann es nicht nur auf Schachtebene, sondern auch auf Blasformebene eingesetzt werden.
Brownfield-Projekte: Upgrade mit EASyMelt
Basierend auf dem blauen Hochofen, aber über dessen Emissionsminderungspotenzial hinausgehend, hat die SMS group das EASyMelt-Verfahren entwickelt. Der elektrisch unterstützte und mit Synthesegas betriebene Schmelzofen stellt eine Alternative zur Direktreduktionsroute dar und füllt darüber hinaus die Lücke zwischen der Verfügbarkeit von hochwertigem Eisenerz und der Nachfrage nach grünem Stahl.
Das Konzept bündelt die neuesten von Paul Wurth entwickelten Technologien zur Ablösung des traditionellen Hochofens in integrierten Hüttenwerken, damit diese letztendlich CO2-neutral arbeiten können. Bei EASyMelt (Electric Assisted Syngas Smelter) handelt es sich um ein elektrifiziertes Direktreduktions- und Schmelzverfahren, bei dem der Heißwind aus dem konventionellen Hochofenverfahren mithilfe einer geringen Menge an Koks vollständig durch Gase wie Koksofengas, Erdgas, Wasserstoff und Ammoniak ersetzt wird. Je nach Energieeintrag kann diese Technologie im Vergleich zur herkömmlichen Route bestehend aus Hochofen und Sauerstoffblaskonverter Emissionseinsparungen von über 60 % erzielen. Die verbleibenden direkten Emissionen können durch Einsatz von CCS-Technologien oder durch Nutzung von Biomasse oder Biogas als Ausgangsstoff weiter reduziert werden. Bei der Nachrüstung bestehender Anlagen ist EASyMelt gegenüber allen anderen Technologien zur CO2-armen Eisenerzeugung weniger kapitalintensiv.
Das Verfahren ist flexibel hinsichtlich des Einsatzmaterials, erhöht die Widerstandsfähigkeit gegenüber Versorgungsengpässen und volatilen Marktbedingungen und kann an unterschiedliche Szenarien angepasst werden. Insbesondere kann EASyMelt auch den herkömmlichen Sintereinsatz verarbeiten, was die Anlagenbetreiber unabhängiger vom harten Wettbewerb um die oft knappen Pellets mit hohem Eisengehalt macht und was gemeinsam mit der Energieflexibilität von EASyMelt zu wettbewerbsfähigen Betriebskosten führt. Ähnlich wie bei der Blue Blast Furnace-Technologie kann die Einführung des EASyMelt-Verfahrens schrittweise erfolgen, indem mehrere technologische Elemente implementiert werden, die gemeinsam auf eine CO2-neutrale Roheisenerzeugung hinwirken. Als zentrale Elemente sind die Eindüsung von Reduktionsgas in den Schacht, die plasmabasierte Überhitzung der Eindüsung über die Blasformen und schließlich die Abscheidung der verbleibenden CO2-Emissionen zur Speicherung oder Nutzung zu nennen.
Brownfield-Projekte: Direktreduktion mit Einschmelzer (Open Bath Furnace)
Ebenfalls führend im Rennen um die Dekarbonisierung bestehender Standorte ist die Kombination des bewährten MIDREX®-Direktreduktionsverfahrens mit einem Schachtofen und einem elektrischen Einschmelzer (Open Bath Furnace, OBF) als Ersatz für bestehende Hochöfen. Die erste Referenz für diese Route realisieren wir bei thyssenkrupp Steel.
Die Technologie vereint zwei Schlüsselprozesse: Die Direktreduktion von Eisenerz in einem Schachtofen und die Umwandlung des entstehenden Eisenschwamms in hochwertigen Stahl. Zunächst kann die Direktreduktionsanlage (DR-Anlage) auf Erdgasbasis betrieben werden, wobei das Erdgas nach und nach durch immer größere Anteile Wasserstoff ersetzt wird.
Der Einschmelzer ist ähnlich aufgebaut wie ein konventioneller Reduktionsofen (Submerged Arc Furnace, SAF), der im sogenannten „Brushed Arc“-Modus betrieben wird. Für diesen Ofentyp kann SMS group auf mehrere hundert Referenzanlagen verweisen.
Die Konfiguration aus Direktreduktionsanlage und Einschmelzer ist sowohl für Brownfield- als auch für Greenfield-Projekte geeignet. In bestehenden Stahlwerken ersetzt diese Anlagenkombination den Hochofen sowie die damit verbundenen Sinter-, Winderhitzer- und Kokereianlagen. Die ideale Konfiguration für die Direktreduktionsanlage und die zugehörigen Einschmelzer sieht vor, dass beide Anlagen von Beginn an in unmittelbarer Nähe zueinander errichtet werden. Auf diese Weise kann das direktreduzierte Eisen als Heißeinsatz in die Einschmelzer chargiert werden, was eine Verringerung des spezifischen Energieverbrauchs zur Folge hat.
Die Kombination einer Direktreduktionsanlage auf Erdgasbasis mit einem Einschmelzer reduziert die CO2-Emissionen im Vergleich zum konventionellen Verfahren mit Hochofen und Sauerstoffblaskonverter bereits um ca. 50 %. Erreicht wird dies durch den höheren Wasserstoffgehalt im Erdgas. In einer zweiten Stufe lässt sich das Erdgas allmählich durch Wasserstoff als Reduktionsgas ersetzen, was eine weitere CO2-Reduktion von bis zu etwa 65 % ermöglicht.
Einer der wesentlichen Vorteile dieser Technologie besteht in der Verringerung des Bedarfs an Kokskohle, einem Schlüsselbestandteil konventioneller Stahlerzeugungsprozesse. Die Konfiguration aus DR-Anlage, Einschmelzer und Sauerstoffblaskonverter ist hochflexibel und anpassbar. Heutigen Schachtöfen zur Direktreduktion benötigen Eisenerz-Pellets oder Stückerze mit hohem Eisenanteil. Die Beschickung des Einschmelzers erfolgt idealerweise mit heißem Eisenschwamm. Dadurch wird der Stromverbrauch erheblich reduziert. Alternativ kann der Einschmelzer auch mit vorreduziertem Eisenerz beschickt werden, z. B. mit brikettiertem Eisenerz (HBI), kalten Eisenschwamm-Pellets oder sogar Feingut aus direktreduziertem Eisen. Dank des eingesetzten Reduktionsverfahrens ist der Einschmelzer unempfindlich gegenüber minderwertiger Erzqualität. Dies gleicht die ineffiziente Verarbeitung von minderwertigen Eisenerzen im Elektrolichtbogenofen aus, so dass in Zukunft die Produktion von grünem Stahl auf Wasserstoffbasis auch aus Erzen mit geringerem Eisengehalt wirtschaftlich möglich ist. Zusätzlich zum heißen Eisenschwamm kann das Einsatzmaterial für den Einschmelzer bis zu 10 % zusammengeballte Abfälle oder losen Schrott enthalten. Dies ermöglicht es den Stahlwerksbetreibern, Abfälle aus ihren Produktionsanlagen weiter zu verarbeiten. Mit Hilfe eines kostengünstigen Agglomerationsverfahrens können die Abfälle für den Einsatz im Ofen vorbereitet werden.
Der OBF kann zusätzlich auch Schlacke erzeugen – ähnlich wie Hochofen-Schlacke – welche in der Zementindustrie granuliert und verwertet werden können.
Roheisenerzeugung mit der MIDREX®-Technologie
Paul Wurth liefert im Rahmen eines Lizenzvertrages MIDREX®-Direktreduktionsanlagen zur Roheisenerzeugung. MIDREX bietet drei Schlüsseltechnologien an, die den Übergang vom Betrieb mit 100 % Erdgas zu einem Betrieb mit 100 % Wasserstoff ermöglichen.
- MIDREX NG™ ermöglicht die Substitution von bis zu 30 % Erdgas durch Wasserstoff, ohne dass Änderungen an der Ausrüstung vorgenommen werden müssen
- MIDREX Flex bietet die Flexibilität, mit nur geringen Modifikationen jedes beliebige Mischungsverhältnis aus Erdgas und Wasserstoff einzusetzen – bis hin zu einem Betrieb mit 100 % Wasserstoff
- MIDREX H2 schließlich ist für die Verwendung von bis zu 100 % Wasserstoff in einem MIDREX-Schachtofen ausgelegt.
Greenfield-Projekt: Direktreduktion in Kombination mit Stahlerzeugung im Elektrolichtbogenofen
In einem Greenfield-Projekt und mit grünem Wasserstoff, der zu wettbewerbsfähigen Preisen in ausreichender Menge zur Verfügung steht, ist die Kombination von Direktreduktion und Elektrostahlerzeugung die beste Lösung.
Um Direktreduktionstechnologien wettbewerbsfähig betreiben zu können, ist eine ausreichende Versorgung mit Erdgas oder Strom aus erneuerbaren Energiequellen erforderlich. Aus diesem Grund wurden Direktreduktionsanlagen auf Erdgasbasis insbesondere im Nahen Osten sowie in Nordafrika, Nordamerika und Russland errichtet. Die vorreduzierte Eisenerz-Pellets mit hohem Eisengehalt werden in einem MIDREX®-Schachtofen reduziert und anschließend als heißer Eisenschwamm in einen Elektrolichtbogenofen chargiert. Das Material wird im Elektrolichtbogenofen eingeschmolzen, es entsteht Flüssigstahl. Hierbei ist kein Zwischenschritt erforderlich. Je nach eingesetzter MIDREX®-Technologie wird nur eine geringe Aufkohlung benötigt, um den Stickstoff im Stahl zu reduzieren.
Die Umstellung von Erdgas auf nachhaltigen Wasserstoff ist der Schlüssel auf dem Weg in Richtung CO2-Neutralität. Der Kohlenstoffgehalt von kohlenstoffarmem bis kohlenstofffreiem Eisenschwamm aus der H2-Reduktion kann im unteren Konus des Schachtofens, auch Kühlzone genannt, verändert werden. Darüber hinaus kann Schrott in den Elektrolichtbogenofen chargiert werden. Der erforderliche Reinheitsgrad des Schrotts ist dabei lediglich durch die Qualitätsanforderungen nachgeschalteter Verarbeitungsstufen bedingt. Diese Prozessroute ist insbesondere für Greenfield-Projekte interessant, d.h. für komplett neue Stahlwerkskomplexe.